Emotionale Erpressung im Berufsleben erkennen, verstehen und stoppen
- Stanislaw Frik

- 1. Okt.
- 7 Min. Lesezeit

Emotionale Erpressung begegnet uns nicht nur in Beziehungen, sondern auch im Berufsleben. Oft als Loyalität, Teamgeist oder Leistungserwartung getarnt, steuert sie unser Verhalten über Schuldgefühle, Angst und Pflichtbewusstsein. In diesem Beitrag schauen wir uns an, woran du solche Spielchen erkennst und was HR und Führungskräfte tun können, um eine gesunde Abgrenzungskultur im Team zu fördern.
Was ist emotionale Erpressung und woran erkennen wir sie?
Die US-Psychotherapeutin Susan Forward beschreibt emotionale Erpressung als eine Beziehungsdynamik, bei der jemand durch die Kombination von Angst, Schuld und Pflicht (das sogenannte FOG-Modell: Fear – Obligation – Guilt) das Verhalten anderer kontrollieren oder steuern will. Die Erpressung geschieht nicht selten durch Menschen, die uns nahe stehen, sei es im Privaten oder im Berufsleben.
Angst (Fear) Im Arbeitskontext beeinflusst Angst nicht nur das Verhalten, sondern auch Entscheidungsprozesse, Kreativität und zwischenmenschliche Kommunikation.
(„Ob diese Entscheidung tatsächlich so karrierefördernd ist…“)
Pflichtgefühl (Obligation) beschreibt das Gefühl von Pflicht oder Verantwortung, das man gegenüber anderen empfindet.
(„Du bist doch jemand, der Verantwortung gerne übernimmt.“)
Schuldgefühle (Guilt) empfinden die meisten Menschen, wenn sie glauben, anderen geschadet oder deren Erwartungen enttäuscht zu haben.
(„Ich dachte, du wärst anders…“)
Sie ist kein Sonderfall, sondern alltäglich, besonders da, wo Verantwortung, Erwartungen und Machtverhältnisse aufeinandertreffen. Willkommen im Berufsleben.
Was sagt die Wissenschaft dazu?
Studien zeigen, dass emotionale Erpressung zu echten Belastungen im Job führen kann:
Eine Studie aus Taiwan (2023) belegt, dass Emotionale Erpressung, etwa durch Schuldzuweisungen, emotionale Abhängigkeiten oder verdeckte Drohungen, wirkt sich signifikant negativ auf die Arbeitszufriedenheit und die Bindung von Mitarbeitenden aus. Pflegekräfte, die diesen psychischen Belastungen regelmäßig ausgesetzt sind, zeigen eine erhöhte Wechselbereitschaft. Bemerkenswert. Selbst hohe emotionale Intelligenz mindert diesen Effekt nicht, sondern kann die Belastung unter Umständen noch verstärken. Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung psychologischer Sicherheit am Arbeitsplatz und einer Führungskultur, die auf Vertrauen statt auf emotionalem Druck basiert.
Gemäß der Studie (Kao, 2024) kann emotionale Erpressung im Arbeitsumfeld zur ernstzunehmenden Stressquelle werden. Wenn Mitarbeitende emotional unter Druck gesetzt werden, etwa durch subtile Drohungen oder Schuldgefühle und keine Möglichkeit sehen, sich davon abzugrenzen, wirkt sich das langfristig negativ auf ihre Gesundheit und Arbeitsleistung aus. Die Forschung zeigt eine vertrauensvolle und offene Unternehmenskultur, den wirksamsten Schutz vor verdeckter Manipulation im Job ist.
Wo findet emotionale Erpressung im Job statt?
Emotionale Erpressung im Berufsleben zeigt sich oft hinter Teamgeist, Loyalität oder Leistungserwartung. Sie zieht sich durch die Hierarchie durch.
Hier einige typische Konstellationen:
Führungskraft → Teammitglied:
„Du bist doch die Einzige, auf die ich mich wirklich verlassen kann, alle anderen sagen schon Nein.“
„Wenn du dich krank meldest, dann muss eine Kollegin den Spätdienst und das am Wochenende mitmachen.“
Kollege → Kollegin
“Du weißt, wie schwer es mir gerade geht, wenn du jetzt Nein sagst…“
“Du weißt, wie wichtig das für unsere Sichtbarkeit als HR ist, willst du wirklich riskieren, dass wir schlecht dastehen?”
Mitarbeitende → Führungskraft:
“Ich habe so viel für dieses Unternehmen getan, da erwarte ich mehr.“
“Wenn das nicht klappt, muss ich mir wohl überlegen, ob ich hier noch richtig bin.“
Die Dynamik ist immer gleich. Eine Person bringt eine andere durch emotionale Appelle in eine Situation, in der sie gegen ihren eigenen Willen handelt, um nicht zu enttäuschen, zu verletzen oder ausgegrenzt zu werden.
Wie erkenne ich, dass ich emotional erpresst werde?
Emotionale Erpressung wirkt subtil und gerade deshalb besonders tiefgreifend. Sie beginnt selten mit klaren Forderungen, sondern äußert sich durch ein inneres Unbehagen wie Schuldgefühle, Pflichtgefühl oder die Angst, andere zu enttäuschen. Viele Betroffene erkennen emotionale Erpressung nicht sofort, weil sie nicht laut und offensichtlich ist, sondern sich schleichend in zwischenmenschliche Beziehungen einfügt.
Anders als offene Manipulation funktioniert emotionale Erpressung über emotionale Verbindlichkeiten. Die Beziehung verliert ihre Funktion als vertrauensvolle Grundlage und wird stattdessen zum Instrument emotionaler Einflussnahme. Wer emotional erpresst wird, fühlt sich oft verpflichtet, Entscheidungen zu treffen, die den eigenen Bedürfnissen oder Überzeugungen widersprechen, um Harmonie zu sichern, Ablehnung zu vermeiden oder Erwartungen zu erfüllen.
Warnzeichen für emotionale Erpressung im Berufsalltag sind:
Du hast Schuldgefühle, obwohl du sachlich korrekt gehandelt hast.
Du sagst Ja, obwohl du Nein sagen wolltest, aus Angst vor Ablehnung oder Enttäuschung.
Du fühlst dich verantwortlich für die Stimmung anderer, obwohl du nicht ihr Auslöser bist.
Du triffst Entscheidungen, um jemandem nicht weh zu tun, nicht weil du sie innerlich mitträgt.
Du hast Angst vor emotionalen Reaktionen wie z. B. Schweigen, Wut oder Rückzug.
Du passt dich an, um Harmonie zu wahren, auch wenn du dich selbst dabei verlierst.
Emotionale Erpressung macht nicht nur mürbe, sie macht krank.
Dieses leise Verschieben der eigenen Grenzen fühlt sich zuerst wie Rücksichtnahme an und dann wie Erschöpfung. Bis man merkt, dass man nicht mehr nach dem eigenen Kompass lebt, sondern nach dem Erwartungsdruck anderer.
Wer dauerhaft unter emotionalem Druck steht, bleibt nicht unversehrt, weder psychisch noch physisch. Emotionale Erpressung wirkt wie Dauerstress. Der Körper schüttet ständig Stresshormone aus, auch wenn keine reale Bedrohung vorliegt. Das führt auf Dauer zu Erschöpfung, Schlafproblemen, innerer Unruhe und im schlimmsten Fall zum Burnout.
Menschen, die emotional unter Druck stehen, verlieren zunehmend den Zugang zu ihren eigenen Bedürfnissen. Anstelle selbstbestimmter Entscheidungen, orientieren sie sich verstärkt an äußeren Erwartungen, oft auf Kosten ihrer inneren Klarheit und Stabilität.
Auch körperlich macht sich chronischer emotionaler Stress bemerkbar, etwa in Form von Muskelverspannungen, gastrointestinalen Beschwerden oder Herz-Kreislauf-Symptomen
Doch der Schaden bleibt nicht auf individueller Ebene. Emotionaler Druck wirkt auch strukturell. Er untergräbt Vertrauen im Team, fördert emotionale Distanz gegenüber der Führung oder der Person und kann zu stiller Demotivation oder innerer Kündigung führen. Verdeckte Machtmuster ersticken Innovationskultur, während psychische Belastungen zu Fehlzeiten und gesundheitlichen Langzeitausfällen führen.
“Irgendwann wusste ich nicht mehr, ob ich Dinge tat, weil ich sie wirklich wollte oder nur, um niemanden zu enttäuschen.”
Hier kommen 5 Antworten, mit denen du emotionaler Erpressung im Job souverän begegnest
1. Klare Grenze statt schlechtes Gewissen
Aussage: Wenn du das nicht übernimmst, bleibt’s wieder an mir hängen. Danke für nichts!“
Antwort: Ich verstehe, dass du gerade unter Druck stehst. Aber ich bin nicht bereit, diese Aufgabe kurzfristig zu übernehmen, dass war vorher nicht abgesprochen.
2. Verfügbarkeit ist kein Dauerzustand
Aussage: Kannst du bitte am Wochenende einspringen? Du bist meine einzige Hoffnung!
Antwort: Ich bin grundsätzlich gern hilfsbereit, aber am Wochenende brauche ich Zeit zum Abschalten. Ich hoffe auf dein Verständnis.
3. Emotionen anerkennen, Verantwortung zurückgeben
Aussage: Wenn du das nicht machst, enttäuschst du mich wirklich.
Antwort: Das tut mir leid zu hören. Gleichzeitig ist es wichtig, dass ich meine eigenen Kapazitäten im Blick behalte, auch wenn das manchmal unbequem ist.
4. Vergleiche zurückweisen, Prioritäten setzen
Aussage: Alle anderen schaffen das auch. Warum du nicht?
Antwort: Jeder hat ein anderes Arbeitspensum und unterschiedliche Prioritäten. Ich entscheide für mich, was machbar ist, unabhängig vom Vergleich mit anderen.
5. Teamgedanke neu definieren
Aussage: Ich dachte, wir sind ein Team, aber offenbar geht’s dir nur um dich.
Antwort: Teamarbeit heißt auch, offen und respektvoll über Grenzen zu sprechen. Ich bin weiter im Boot, aber nur unter fairen Bedingungen.
Was HR und Führungskräfte konkret gegen emotionale Erpressung tun können
Emotionale Erpressung gedeiht dort, wo Verantwortung unklar ist, Kommunikation unausgesprochen bleibt und emotionale Nähe mit Loyalität verwechselt wird. HR und Führungskräfte haben die Möglichkeit und die Verantwortung, solche Dynamiken frühzeitig zu erkennen, offen anzusprechen und strukturell gegenzusteuern.
✅ 1. Verantwortung klar verorten, ohne moralischen Beiklang
Statt „Wir müssen jetzt alle zusammenhalten“ braucht es Klarheit, “Wer ist wofür verantwortlich und wer nicht?”.Vermeide moralisch aufgeladene Appelle („Du bist doch jemand, auf den man zählen kann“) und formuliere stattdessen sachlich, klare Erwartungen und wertschätzend. So entstehen Verbindlichkeiten und keine Schuldgefühle.
✅ 2. “Nein” sagen darf keine Beziehungskiller sein
Führung und HR sollten bewusst ein Klima fördern, in dem Nein ein legitimer Teil von professioneller Kommunikation ist. Wer Nein sagt, signalisiert nicht mangelnden Einsatz, sondern Selbstverantwortung. Dies sollte aktiv vorgelebt und als Stärke benannt werden.
✅ 3. Grenzen respektieren, auch (und gerade) bei Leistungsträgern
Besonders engagierte Mitarbeitende sind häufig Ziel emotionaler Erwartungsdynamiken, ob von Kolleginnen oder Führung. Hier braucht es eine achtsame Gesprächsführung. Wird Leistung honoriert oder ausgenutzt? Werden Verfügbarkeiten selbstverständlich vorausgesetzt?
Wer ständig Mitarbeitende für „außergewöhnlichen Einsatz trotz privater Belastung“ lobt, normalisiert Überforderung. Stattdessen, Einsatz anerkennen, aber Grenzen sichtbar schützen.
✅ 4. Sprache reflektieren und Haltung hinterfragen “Wie wir sagen, was wir sagen”
Führungskräfte und HR-Verantwortliche sollten deshalb nicht nur ihre Wortwahl, sondern auch die dahinter liegende Haltung regelmäßig reflektieren.
Kommuniziere ich klar, oder nutze ich emotionale Andeutungen, um Zustimmung zu erhalten?
Spreche ich in Rollen oder auf Augenhöhe?
Will ich beeinflussen oder befähigen?
Es reicht nicht aus, kommunikativ „neutral“ zu sein. Entscheidend ist, ob meine Sprache Handlungsspielräume eröffnet oder subtil Druck aufbaut. Wer Führung verantwortungsvoll gestalten will, achtet nicht nur auf Inhalte, sondern auf Wirkung und übernimmt Verantwortung dafür, wie Botschaften beim Gegenüber ankommen.
✅ 5. Raum für Rückmeldung schaffen jenseits von Bewertung
Ob in 1:1-Gesprächen oder in anonymisierten Formaten. Mitarbeitende sollten regelmäßig die Möglichkeit haben, über gefühlte Erwartungen, Drucksituationen oder unausgesprochene Loyalitätskonflikte zu sprechen, ohne Angst vor Konsequenzen. Das stärkt nicht nur Vertrauen, sondern macht blinde Flecken sichtbar.
Persönliche Einordnung: Emotionale Erpressung im beruflichen Kontext
Der Begriff „emotionale Erpressung“ ist sprachlich stark aufgeladen und wird häufig mit strafrechtlich relevanten Handlungen assoziiert. Entsprechend schwer fällt es vielen, dieses Verhalten im unternehmerischen Kontext klar zu benennen bzw. zu bemerken. Dabei tritt emotionale Erpressung insbesondere dann auf, wenn persönliche, teambezogene oder unternehmerische Ziele durchgesetzt werden sollen, ohne offene Kommunikation, sondern über emotionale Einflussnahme.
Emotionaler Druck entsteht nicht immer vorsätzlich. Häufig handelt es sich um unbewusste, erlernte Muster, die auf eigenen Beziehungserfahrungen beruhen, insbesondere dann, wenn Entscheidungen in der Vergangenheit durch Schuld, Andeutungen oder emotionale Abhängigkeiten beeinflusst wurden.
Die Kommunikation ist dabei meist indirekt, emotional aufgeladen und frei von klaren Forderungen. Gerade in Arbeitskulturen, die stark auf Loyalität, Teamorientierung und Leistungsbereitschaft setzen, wird emotionale Einflussnahme leicht übersehen oder sogar als Teil der „normalen“ Zusammenarbeit verstanden.
Wichtig ist: Nicht jede emotionale Reaktion ist automatisch emotionale Erpressung. Entscheidend sind Intention, Wirkung und Form. Gefühle gehören zur Kommunikation, auch im Beruf. Kritisch wird es dann, wenn Emotionen gezielt oder wiederholt eingesetzt werden, um das Verhalten anderer zu steuern und dabei die persönliche Entscheidungsfreiheit zu unterlaufen.
Gerade deshalb braucht es ein geschärftes Bewusstsein: Ist das noch ein Wunsch oder schon verdeckter Druck? Ist mein „Ja“ freiwillig oder emotional erzwungen?
Reflexion hilft dabei ein besseres Verständnis für die Situation zu schaffen. Wer Körpersignale, Entscheidungsmotive und Gesprächsmuster bewusst hinterfragt, kann emotionale Erpressung erkennen und ihr begegnen. Sensibilisierung ist damit nicht nur Selbstschutz, sondern Grundlage für gesunde, respektvolle Kommunikation im Berufsalltag.
"Was wie Teamstärke aussieht, ist manchmal nur gemeinsame Erschöpfung, die von unausgesprochenem Druck und emotionaler Erpressung gehalten wird."



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